Bauliche Veränderungen – neu gedacht

Das neue Recht der baulichen Veränderungen im Wohnungseigentum

 

Durch das Inkrafttreten des WEMoG hat sich das Recht der baulichen Veränderungen im Wohnungseigentum strukturell verändert.

Ziel des Gesetzgebers ist es, die energetische und bautechnische Ertüchtigung von Bestandsimmobilien zu erleichtern sowie darüber hinaus die Durchführung von der Mehrheit der Eigentümer als sinnvoll angesehener bauliche Veränderungen zu ermöglichen.

 

 

Zugunsten des einzelnen Wohnungseigentümers ist zudem die Möglichkeit geschaffen worden, ihm individuelle bauliche Veränderungen leichter zu gestatten. Verwalter, Verwaltungsbeiräte und Wohnungseigentümer sind gefordert, die neuen Regelungen anzuwenden. Zwar sind zwar etliche Probleme der Vergangenheit beseitigt worden, aus den geänderten gesetzlichen Bestimmungen ergeben sich aber neue Zweifelsfragen, denen hier nachgegangen und Hinweise für die praktische Anwendung der Neuregelungen gegeben werden sollen.

 

1. Überblick

Neu ist insbesondere der Umstand, dass nun erstmals die Zulässigkeit baulicher Veränderungen am Sondereigentum geregelt ist (§ 13 Abs. 2 WEG).

Das Recht der baulichen Veränderungen am Gemeinschaftseigentum ist nun in den §§ 20 und 21 WEG geregelt. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei unterschiedlichen Interessenlagen, nämlich zwischen der vom einzelnen Eigentümer oder einer Gruppe einzelner Eigentümer gewünschten (eigennützigen) baulichen Veränderung und der von der überwiegenden Mehrheit der Eigentümer gewünschten (gemeinnützigen) baulichen Veränderung.

Von einer Darstellung der neuen Regelungen zum Individualanspruch auf Gestattung baulicher Veränderungen für Menschen mit einer Behinderung, für den Einbruchsschutz, das Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge und schnelles Internet wird an dieser Stelle abgesehen, da dies eine gesondert zu betrachtende umfangreiche

Spezialmaterie darstellt.

 

2. Bauliche Veränderungen am Sondereigentum

Grundsätzlich steht jedem Wohnungseigentümer gem. § 13 Abs. 1 WEG das Recht zu, mit seinem Sondereigentum nach Belieben zu verfahren, insbesondere dieses zu bewohnen, vermieten, verpachten oder in sonstiger Weise zu nutzen sowie andere von Einwirkungen ausschließen.

 

§ 13 WEG - Rechte des Wohnungseigentümers aus dem Sondereigentum

(1)

Jeder Wohnungseigentümer kann, soweit nicht das Gesetz entgegensteht, mit seinem Sondereigentum nach Belieben verfahren, insbesondere dieses bewohnen, vermieten, verpachten oder in sonstiger Weise nutzen, und andere von Einwirkungen ausschließen.

a) Erhaltungsmaßnahmen am Sondereigentum

Hieraus ergibt sich das Recht -und gem. § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG auch die Pflicht- eines jeden Sondereigentümers, sein Sondereigentum so zu erhalten (d.h. instand zu halten und instand zu setzen), dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer bezogen auf deren Sondereigentum oder das Gemeinschaftseigentum über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil entsteht.

 

§ 14 WEG - Pflichten des Wohnungseigentümers

(2)

Jeder Wohnungseigentümer ist gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern ver-

pflichtet,

1.

deren Sondereigentum nicht über das [bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß] hinaus zu  beeinträchtigen;

Auf welche Art und Weise die Erhaltung des Sondereigentums durchgeführt wird, ist alleine Sache des Sondereigentümers auf dessen eigene Kosten; diesbezüglich besteht weder eine Beschluss- noch eine Handlungskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft (vgl.: Hügel/Elzer, WEG, 21. Aufl. 2021, § 14 Rn. 57).

 

b) Bauliche Veränderungen am Sondereigentum

Da nach der neuen Rechtslage als bauliche Veränderungen alle Maßnahmen angesehen werden, die über die bloße Instandhaltung (d.h. Pflege-, Schutz- und Wartungsmaßnahmen) und Instandsetzung (Reparatur oder Austausch), die auf die bloße Erhaltung des bestehenden Zustands gerichtet sind, hinausgehen, stellt sich die Frage, ob der Sondereigentümer auch berechtigt ist, nach Belieben bauliche Veränderungen an seinem Sondereigentum vorzunehmen. Dies kann nämlich durchaus auch die Interessen der übrigen Eigentümer und der Gemeinschaft berühren.

 

aa) Bauliche Veränderungen nur am Sondereigentum

Entgegen der früheren Gesetzesfassung, die diesbezüglich keine Regelung vorsah, bestimmt § 13 Abs. 2 WEG nun, dass der einzelne Wohnungseigentümer für bauliche Veränderungen an seinem Sondereigentum sehr wohl einer Gestattung durch Mehrheitsbeschluss der Eigentümerversammlung i.S.d. § 20 Abs. 1 WEG bedarf, dies allerdings nur dann, wenn hierdurch einem der anderen Wohnungseigentümer über das

bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst.

 

§ 13 WEG - Rechte des Wohnungseigentümers aus dem Sondereigentum

(2)

Für Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung (Erhaltung) des Sondereigentums hinausgehen, gilt § 20 mit der Maßgabe entsprechend, dass es keiner Gestattung bedarf, soweit keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst.

 

§ 20 WEG – Bauliche Veränderungen

(1)

Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.

Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dass der einzelne Sondereigentümer potentiell störende Maßnahmen zuvor anzuzeigen und um Gestattung nachzusuchen hat, bevor er mit solchen Maßnahmen beginnt, so dass die übrigen Wohnungseigentümer im Vorfeld der informiert werden und darüber entscheiden können, ob sie bestimmte Störungen im Sinne eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens tolerieren wollen, bevor späterer Streit um die Maßnahme entbrennt.

 

Fall 1:

Eigentümer E plant eine umfassende Renovierung seiner Wohnung durch den kompletten Austausch aller Bodenbeläge durch Teppiche, den Neuverputz sowie die Tapezierung aller Wände, den Einbau neuer Innentüren sowie die Neuverfliesung von Küche und Bad nebst Einbau einer neuen Sanitärausstattung. E will all dies nach Feierabend und am Sonntag in Eigenleistung durchführen und kalkuliert eine Bauzeit von ca. 12 Monaten. Die benötigten Baumaterialien will er im Hausflur lagern.

E meint, er könne in seinem Sondereigentum umbauen, was und wie er wolle; eine Genehmigung benötige er nicht.

Da sich die beschriebenen Baumaßnahmen ausschließlich auf das Sondereigentum beziehen, bedarf E einer Gestattung durch Beschluss der Eigentümerversammlung gem. §§ 13 Abs. 2, 20 Abs. 1 WEG nicht, sofern er dabei die Grenzen seines Gebrauchsrechts gem. § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG nicht durch vermeidbare Störungen überschreitet.

Bei baulichen Maßnahmen, die sich auf das Sondereigentum beschränken, ist mit Blick auf das freie Benutzungsrecht des Sondereigentümers gem. § 13 Abs. 1 WEG grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die übrigen Eigentümer typische unvermeidbare und temporäre Störungen durch z.B. Baulärm oder den Transport und die Lagerung von Baumaterialien als unvermeidbar hinzunehmen haben.

 

Dauerhafte Störungen durch sich ungebührlich lang hinziehende oder außerhalb der üblichen Bauzeiten durchgeführte Arbeiten am Sondereigentum müssen jedoch nicht hingenommen werden; hier ist ein Gestattungsbeschluss gem. §§ 13 Abs. 2, 20 Abs. 1 WEG erforderlich (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1223 ff.; 1230 ff).

 

bb) Bauliche Veränderungen im Sondereigentum am Gemeinschaftseigentum

 

Vom oben dargestellten Fall der Ausführung baulicher Veränderungen im räumlichen Bereich des Sondereigentums, die sich auf das Sondereigentum beschränken, ist der Fall strikt zu unterscheiden, in dem zwar Arbeiten im räumlichen Bereich des Sondereigentums durchgeführt werden, diese aber (auch) das Gemeinschaftseigentum tangieren.

 

Fall 2:

Eigentümer E plant eine umfassende Renovierung seiner Wohnung, wobei auch eine Fußbodenheizung in den Estrich im Wohn-, Schlaf- und Badezimmer eingebaut werden soll.

E meint, er könne in seinem Sondereigentum umbauen, was und wie er wolle; eine Genehmigung benötige er nicht.

Gem. § 5 WEG stellen auch im räumlichen Bereich des Sondereigentums befindliche Anlagen, Einrichtungen und Bauteile zwingendes Gemeinschaftseigentum dar, sofern diese dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen, für den Bestand oder die Sicherheit des Gebäudes erforderlich sind bzw. solche, die nicht verändert, beseitigt oder eingefügt werden können, ohne dass anderes Sondereigentum oder das Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt wird.

Bei Eingriffen in den im zwingenden Gemeinschaftseigentum stehenden Estrich sowie in die Funktion einer Zentralheizungsanlage, wie bei der Installation einer Fußbodenheizung, kann ersichtlich anderes Sondereigentum und das Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt werden.

Mangels entsprechender Regelung sah die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung hier gleichwohl keine Notwendigkeit einer beschlussweisen Gestattung, sofern der Sondereigentümer nur nachweisen konnte, dass die Maßnahme (z.B. unter Beachtung der statischen, brandschutz- und schallschutztechnischen Vorschriften) sach- und fachgerecht erfolgte (vgl.:  BGH, Beschl. v. 21.12.2000 - V ZB 45/00, ZMR 2001, 289).

 

Dies hat sich durch §§ 13 Abs. 2, 20 Abs. 1 WEG entscheidend geändert.

§ 13 Abs. 2 WEG bezieht sich ausdrücklich nur auf bauliche Maßnahmen (ausschließlich) am Sondereigentum. Soweit durch bauliche Maßnahmen, mögen diese auch nur im räumlichen Bereich des Sondereigentums ausgeführt werden, gemeinschaftliches Eigentum (mit)betroffen ist, gelten die §§ 20, 21 WEG unmittelbar; d.h. es ist in jedem Falle die vorherige Einholung eines Gestattungsbeschlusses erforderlich (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1235).

 

3. Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum zugunsten Einzelner

Aus § 20 Abs. 1 WEG folgt, dass als bauliche Veränderung nunmehr alles gilt, was über die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht.

 

a) Nicht-störende bauliche Veränderungen

Weiter folgt aus § 20 Abs. 1, dass jede bauliche Veränderung eines Gestattungsbeschlusses der Eigentümerversammlung bedarf; fehlt ein solcher Beschluss, ist alleine schon deshalb die Baumaßnahme rechtswidrig, auch wenn sie nicht nachteilig ist (vgl.: Skauradszun/Elzer/Hinz/Riecke-Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 4 u. 37 [im Weiteren: SEHR/Bearbeiter]).

 

Fall 3:

Eigentümer E plant, da seine Dachgeschosswohnung bauzeitbedingt kaum gedämmt ist, ein Klimaanlage in der nicht einsehbaren Ecke seiner Loggia aufzustellen und möchte hierfür eine kleine Bohrung in der Außenwand vornehmen.

Das Betriebsgeräusch des Klimageräts ist für andere nicht hörbar.

E meint, er benötige hierfür keine Genehmigung.

Entgegen der früheren Rechtslage (vgl.: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.11.2006 - 3 Wx 197/06, ZMR 2007, 206), die mangels relevanter Beeinträchtigung eine Genehmigung für entbehrlich hielt, bedarf der Eigentümer gem. § 20 Abs. 1 WEG auch für bauliche Eingriffe in das Gemeinschaftseigentum, die unerheblich sind (Bohrung) und die anderen Eigentümer nicht berühren (weder sicht- noch hörbar) einer Gestattung durch Mehrheitsbeschluss der Eigentümerversammlung.

Eine ganz andere Frage ist die, ob nicht gem. § 20 Abs. 3 WEG ein Rechtsanspruch des einzelnen Eigentümers dahingehend besteht, dass die übrigen Eigentümer den (in jedem Fall zu stellenden) Gestattungsantrag positiv zu bescheiden haben, denn aus § 20 Abs. 3 WEG folgt unausgesprochen, dass mangels relevanter Störung ein Rechtsanspruch auf Gestattung besteht (so im Fall 3).

 

 

 

 

 

§ 20 WEG – Bauliche Veränderungen

(3)

Unbeschadet des Abs. 2 kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer, deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden, einverstanden sind.

b) Störende bauliche Veränderungen mit Einverständnis

Ferner besteht gem. § 20 Abs. 3 WEG ein Rechtsanspruch auf positive Beschlussfassung, wenn diejenigen Eigentümer, die beeinträchtigt sind, einverstanden sind.

 

Fall 4:

Eigentümer E plant, da seine Dachgeschosswohnung bauzeitbedingt kaum gedämmt ist, ein Klimaanlage in der nicht einsehbaren Ecke seiner Loggia aufzustellen und möchte hierfür eine kleine Bohrung in der Außenwand vornehmen.

Das Betriebsgeräusch des Klimageräts ist nur für den unmittelbaren Nachbarn N hörbar. N sagt dem E aber zu, dass er nichts gegen das Klimagerät hat.

Die Erklärung des Einverständnisses durch den potentiell benachteiligten Eigentümer ist eine (formfrei abzugebende) rechtsgeschäftsähnliche Handlung, die den Gestattungsanspruch erst auslöst und daher zu Protokoll der Versammlung genommen werden muss. Sie kann aber auch schlicht dadurch abgegeben werden, indem der betroffene Eigentümer zum Beschlussantrag mit „Ja“ stimmt (vgl.: Lehmann-Richter/ Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1203 ff., 1210, 1242 ff.).

 

c) Störende bauliche Veränderungen ohne Einverständnis

Aus § 20 Abs. 3 folgt, dass bei einer baulichen Veränderung, die eine Störung bewirkt, die über die Duldungspflicht des § 14 Abs. 2 Nr. 2 WEG (Beeinträchtigung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus) hinausgeht und für die kein Einverständnis der übrigen benachteiligten Eigentümer vorliegt, kein Rechtsanspruch auf Gestattung besteht.

 

Fall 5:

Eigentümer E plant, da seine Dachgeschosswohnung bauzeitbedingt kaum gedämmt ist, ein Klimaanlage an der Fassade neben seinem Schlafzimmerfenster zu befestigen. Das Klimagerät ist für jedermann sichtbar und dessen Betriebsgeräusch ist gut vernehmbar.

Als der von E gestellte Gestattungsantrag abgelehnt wird, verklagt E die Gemeinschaft auf Zustimmung, da seine Wohnung sonst im Sommer nicht nutzbar sei.

Ein „Nachteil“ für die übrigen Eigentümer im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG, d.h. eine über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehende Störung, ist bei jeder nicht ganz unerheblichen Beeinträchtigung, die konkret und objektiv sein muss, gegeben. Entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann, wobei die Schwelle für die Annahme einer Beeinträchtigung niedrig anzusetzen ist (vgl.: AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 25.6.2021 – 980a C 5/21, ZMR 2021, 772).

Der Anbau eines Klimageräts an die Fassade stellt somit eine benachteiligende bauliche Veränderung dar, weil eine optische Veränderung der Fassade in nicht nur unerheblichem Ausmaß erfolgt. Dies müssen die übrigen Wohnungseigentümer gem. § 20 Abs. 3 WEG nicht genehmigen. Dass die Wohnung sich aufheizt, ergibt sich aus der Natur der Sache und war dem Eigentümer E im Fall 5 beim Erwerb des Wohnungseigentums bekannt (vgl.: LG Frankfurt, Beschl. v. 20.4.2021 – 2-13 S 133/20, ZMR 2021, 760).

 

Gleichwohl durchgeführte ungenehmigte bauliche Veränderungen werden zwar Bestandteil des gemeinschaftlichen Eigentums, die Kosten und Folgekosten trägt jedoch der „Schwarzbauer“, der zudem einem Beseitigungsanspruch der Gemeinschaft gem. § 9b Abs. 2 WEG, § 1004 BGB ausgesetzt ist.

 

d) Störende bauliche Veränderungen mit Gestattung durch Beschluss

Eine der wesentlichen Neuerungen des neuen Rechts stellt der Umstand dar, dass die übrigen Wohnungseigentümer, obgleich hierzu nicht verpflichtet, gleichwohl auch störende bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums durch einfachen Mehrheitsbeschluss gestatten können.

 

Fall 6:

Eigentümer E möchte oberhalb des zu seiner Wohnung gehörenden Balkons an der

Hausfassade eine farbige Markise anbringen.

Als der von E gestellte Gestattungsantrag mehrheitlich positiv beschieden wird, erhebt Eigentümer K Anfechtungsklage gegen den Gestattungsbeschluss, weil er nicht bereit ist, eine solche „Verschandelung“ des optischen Erscheinungsbilds der Wohnanlage hinzunehmen.

Obgleich der Antrag auf Gestattung einer störenden baulichen Veränderung gem.

§ 20 Abs. 3 WEG schon mangels Anspruch auf positive Beschlussfassung abgelehnt werden kann, wenn auch nur ein Eigentümer über das in § 14 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt ist (Beeinträchtigung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus), kann aber gleichwohl der Gestattungsantrag auch positiv beschieden werden, wofür sich die übrigen Eigentümer gem. § 20 Abs. 1 WEG mehrheitlich entscheiden können (weil sie ganz einfach nett sind oder später selbst auch einmal eine Markise anbringen wollen).

 

In diesem Fall gilt dann für die Beurteilung der Frage, ob der Gestattungsbeschluss rechtmäßig ist, die sehr viel niedrigere Schwelle des § 20 Abs. 4 WEG.

 

 

§ 20 WEG – Bauliche Veränderungen

(4)

Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen

Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benach-teiligen, dürfen nicht beschlossen und gestattet werden; sie können auch nicht verlangt werden.

Anders als bei der Frage, ob ein Rechtsanspruch auf Gestattung einer baulichen Veränderung besteht (was schon bei der Benachteiligung eines einzigen anderen Eigentümers mangels dessen Einverständnis ausgeschlossen ist), beurteilt sich die Frage, ob der Beschluss, der eine bauliche Veränderung gestattet, rechtmäßig ist, nach dem Maßstab des § 20 Abs. 4 WEG.

Entscheidend ist also nur die Frage, ob entweder eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage vorliegt oder ob ein Eigentümer gegenüber den anderen Eigentümern unbillig benachteiligt ist.

aa) Grundlegende Umgestaltung

Entgegen der früheren Rechtslage, die auf eine „Änderung der Eigenart der Wohnanlage“ abstellte und regelmäßig zu dem Ergebnis kam, dass eine solche vorlag, soll nach der Gesetzesbegründung der Begriff der „grundlegenden Umgestaltung“ nur noch massive, zu einer völligen Veränderung der Gesamtanlage führenden Eingriffe umfassen.

Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage soll daher, anders als nach dem bisherigen Recht, nicht schon bei Veränderung des „optischen Gesamteindrucks“ vorliegen; bloße architektonische Disharmonien zählen nicht dazu.

Demnach sollen (es kommt aber immer auf den konkreten Einzelfall an) z.B. der zusätzliche Einbau eines Dachflächenfensters, der Ausbau des Dachgeschosses, die Er-richtung von Dachgauben, Vorstellbalkonen oder der An- oder Einbau von Aufzügen nicht schon per se eine grundlegende Umgestaltung ausmachen, wenn das „Gepräge der Wohnanlage“ nicht so grundlegend verändert wird, dass ein „anderes“ Gebäude entsteht (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1008 ff., 1155; SEHR/Abramenko, § 5 Rn. 64 ff.).

Im Fall Nr. 6 dürfte also nicht anzunehmen sein, dass das bloße Anbringen einer Markise eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage bedeutet; insoweit wäre der Gestattungsbeschluss nicht angreifbar.

 

bb) Unbillige Benachteiligung eines einzelnen Wohnungseigentümers

Eine unbillige Benachteiligung setzt voraus, dass der betreffende Eigentümer individuell in einer wohnungseigentumsrechtlich relevanten Rechtsposition stärker als die übrigen Eigentümer beeinträchtigt wird (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1016 ff.; SEHR/Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 66 ff.).

Eine Benachteiligung soll daher bereits ausscheiden, wenn alle Eigentümer gleichermaßen von den Folgen der baulichen Veränderung betroffen sind (wie hier im Fall Nr. 6: die Markise ist für jedermann sichtbar).

Die Benachteiligung muss zudem unbillig sein, d.h. dem betroffenen Eigentümer muss ein Sonderopfer zugemutet werden, dass seine Rechte unter Abwägung der  entstehenden Vorteile unangemessen stark beschneidet. Dies wäre u.U. im Fall Nr. 6 anzunehmen, wenn z.B. durch die gestattete Markise der unmittelbar benachbarte Balkon des Klägers unzumutbar verschattet würde).

 

e) Besonderheiten des Gestattungsbeschlusses

Bei der Beschlussfassung über die Gestattung baulicher Veränderungen sind allerdings einige Besonderheiten zu beachten, damit diese den berechtigten Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft und der Verwaltung Rechnung trägt und auch rechtmäßig ist.

 

aa) Notwendigkeit eines Vorschalt-Geschäftsordnungsbeschlusses

Für den Versammlungsleiter einer Eigentümerversammlung, in welcher über die Genehmigung einer baulichen Veränderung des Gemeinschaftseigentums Beschluss gefasst werden soll (typischerweise die Verwaltung), ergibt sich wegen der denkbaren Haftung für die Verkündung eines nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechenden Gestattungsbeschlusses die Notwendigkeit, vor einer Beschlussfassung über die Maßnahme selbst einen Geschäftsordnungsbeschluss herbeizuführen.

 

Da (wie oben ausgeführt) auch störende bauliche Veränderungen mit einfacher Mehrheit genehmigt werden können, ist der Versammlungsleiter zur Erteilung von Hinweisen und zur Anmeldung von Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit eines Beschlusses gem. § 20 Abs. 1 WEG verpflichtet (vgl.: BGH, Urt. v. 29.5.2020 – V ZR 141/19, ZMR 2020, 770).

Denn typischerweise kann der Verwalter (der Versammlungsleiter) nicht sicher beurteilen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Gestattungsbeschluss nach § 20 Abs. 1 WEG tatsächlich rechtmäßig ist oder ob eine Ablehnung einen Anspruch auf Gestattung verletzt.

So kann im Vorhinein kaum jemals sicher festgestellt werden, ob und welche Eigentümer nachteilig betroffen sind, ob gegebenenfalls nicht doch eine relevante Umgestaltung der Wohnanlage oder die unbillige Beeinträchtigung eines einzelnen Wohnungseigentümers vorliegt.

 

Hierzu hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich entschieden, dass dem Versammlungsleiter das Recht zusteht, von der Eigentümerversammlung die Fassung eines vorherigen Geschäftsordnungsbeschlusses zu verlangen, durch welchen diese den Versammlungsleiter von den bestehenden Unwägbarkeiten und Risiken freistellt (vgl.: BGH, Urt. v. 29.5.2020 – V ZR 141/19, ZMR 2020, 770).

 

Formulierungsvorschlag für einem Geschäftsordnungsbeschluss:

Mit Blick auf die durch die Verwaltung mitgeteilten Bedenkenhinweise zum beabsichtigen Beschluss zu TOP […], wonach vom Verwalter nicht sicher festgestellt werden kann,

- ob durch die zu gestattende bauliche Veränderung nicht doch Eigentümer nachteilig betroffen sein können, die ihre Zustimmung nicht erteilt haben,

- ob durch die zu gestattende bauliche Veränderung nicht doch eine grundlegende Umgestaltung des Objekts bewirkt bzw.

- ob ein nicht zustimmender Eigentümer nicht doch gegenüber anderen unbillig benachteiligt sein kann

-  und daher eine Beschlussfassung mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann, was zu  einem entsprechenden Prozess- und Kostenrisiko führen kann, wird der Beschlussfassung zu TOP […] folgender Geschäftsordnungsbeschluss vorangestellt:

 

Die Eigentümerversammlung beschließt, die Verwaltung anzuweisen, die nachfolgend zu TOP […] gefassten Beschlüsse, sofern diese mit der einfachen Stimmenmehrheit gefasst werden, als zustande gekommen zu verkünden.

bb) Das Wahlrecht der Wohnungseigentümerversammlung

Zu beachten ist, dass die Bestimmung des § 20 Abs. 1 WEG der Eigentümerversammlung ein Wahlrecht einräumt, in welcher Form eine Genehmigung der baulichen Veränderung erfolgt.

§ 20 Abs. 1 WEG seiht nämlich zwei verschiedene Formen der Genehmigung vor:

·         Die Eigentümerversammlung gestattet dem Antragsteller die Durchführung der beabsichtigen Maßnahme in Eigenregie oder

·         die Eigentümerversammlung beschließt, die Maßnahme selbst durch die Wohnungseigentümergemeinschaft durchzuführen.

 

 

§ 20 WEG – Bauliche Veränderungen

(1)

Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden.

Die erste Variante dürfte bei der Durchführung baulicher Veränderungen, die keine besonderen technischen Schwierigkeiten aufweisen, regelmäßig gewählt werden.

Denkbar ist es aber auch, dass insbesondere bei technisch anspruchsvollen Maßnahmen, die Gemeinschaft die Sache in die Hand nimmt, um im Interesse aller Beteiligten für eine sach- und fachgerechte Ausführung zu sorgen (natürlich auf Kosten des Antragstellers, siehe nachfolgend).

 

Fall 7:

Eigentümer E (Hobby-Funker) beantragt, dass man es ihm gestatten möge, neben der bestehenden Satellitenempfangsanlage auf dem Dach des Gebäudes eine kleine, kaum sichtbare Kurzwellenantennenanlage sach- und fachgerecht zu installieren.

Die übrigen Eigentümer haben nichts dagegen, beschließen aber, dass die Maßnahme durch die Wohnungseigentümergemeinschaft unter Beauftragung des für die Gemeinschaft seit Jahren tätigen Elektromeisters M durchgeführt werden soll, wobei die entstehenden Kosten dem E im Rahmen der Jahresabrechnung belastet werden.

Selbst wenn ein Rechtsanspruch auf positive Beschlussfassung gem. § 20 Abs. 3 WEG gegeben sein sollte, so besteht mit Blick auf das Wahlrecht der Eigentümerversammlung nur ein Anspruch auf das „ob“ der baulichen Veränderung, über das „wie“ entscheiden die Eigentümer nach billigem Ermessen.

Die Entscheidungsmacht der Wohnungseigentümer ist dabei natürlich nicht schrankenlos, sondern wird durch die Vorgaben ordnungsmäßiger Verwaltung beschränkt.

 

cc) Das Erfordernis der inhaltlichen Bestimmtheit

Insbesondere Beschlüsse über die Gestattung baulicher Veränderungen müssen inhaltlich bestimmt sein, d.h., dass aus dem Beschlusstext selbst (oder aus in Bezug genommenen Unterlagen, die dem Beschlussprotokoll beizufügen sind) muss sich eine genaue Beschreibung der konkreten bauliche Veränderung ergeben (vgl.: BGH, Urt. v. 8.4.2016 – V ZR 104/15, ZMR 2016, 638; LG Bremen, Urt. v. 7.10.2016 - 4 S 250/15, ZMR 2017, 83; SEHR/Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 45 ff.).

 

Fall 8:

Die Eigentümerversammlung beschließt, es dem Eigentümer E zu gestatten, im Bereich seiner Dachgeschosswohnung ein Dachflächenfenster selbst und auf eigene Kosten einzubauen.

Eigentümer K ist damit nicht einverstanden und erhebt Beschlussanfechtungsklage.

Im vorliegenden Fall Nr. 8 bleibt vollkommen unklar, was für ein Fenster (Ausmaße, Form, Farbe, Material) an welcher Stelle eingebaut werden soll. Da es dem Beschluss an der notwendigen Bestimmtheit mangelt, ist er rechtswidrig und wird auf die Anfechtung des K hin für ungültig erklärt werden (vgl.: BGH, Urt. v. 15.1.2010 – V ZR 72/09, ZMR 2010, 378). Zudem sind die der Entscheidungsfindung der Eigentümerversammlung dienenden Unterlagen (wie z.B. Angebote, Prospekte, Planzeichnungen, etc.) den Wohnungseigentümern rechtzeitig vor der Eigentümerversammlung mit der Einladung (d.h. innerhalb der Ladungsfrist) zur Verfügung zu stellen (vgl.: LG Düsseldorf v. 22.10.2014 - 25 S 34/14, ZMR 2016, 795).

 

 

 

 

 

 

Formulierungsvorschlag zu einem Gestattungsbeschluss zu Fall 8:

Die Eigentümerversammlung beschließt, es dem jeweiligen Eigentümer der im Dachgeschoss gelegenen Wohneinheit Nr. 13 zu gestatten, im Bereich seiner Dachgeschosswohnung ein Dachflächenfenster selbst und auf eigene Kosten durch die Fa. Dachbauer GmbH einzubauen zu lassen. Die konkrete Lage, Maße, Material, Form und Farbe des einzubauenden Dachflächenfensters ergeben sich aus dem den Eigentümern mit der Einladung zur Verfügung gestellten Angebot der Fa. Dachbauer GmbH vom 17.11.2021, Angebots-Nr.: 4711, sowie aus dem Prospekt der Fa. Fensterschön und der Planzeichnung vom 17.11.2021, die als Anlage zum Protokoll dieser Versammlung genommen werden. Die Arbeiten sollen ab dem 23.11.2021 ausgeführt werden und binnen 10 Tagen abgeschlossen sein.

dd) Möglichkeit der Gestattung unter Auflagen

Im Rahmen des sog. Direktionsrechts der Eigentümergemeinschaft liegt es auch, Gestattungsbeschlüsse mit Auflagen zu versehen, um die berechtigten Interessen aller Wohnungseigentümer zu wahren.

So kann erforderlichenfalls die Gestattung an die Erfüllung von Auflagen und Bedingungen geknüpft werden, wie

 

·         Vorgaben zur konkreten Gestaltung bei grundsätzlicher Gestattung,

·         Auflage der Ausführung durch ein Fachunternehmen,

·         Erbringung von Fachunternehmerbescheinigungen,

·         Erbringung des Nachweises technischer Unbedenklichkeit (Schall-, Brandschutz, Statik),

·         Nachweis der versicherungsrechtlichen Unbedenklichkeit,

·         Nachweis des Abschlusses einer besonderen Versicherung.

 

ee) Möglichkeit der Grundsatzbeschlussfassung

Die Schaffung der o.g. Beurteilungs- und Beschlussvoraussetzungen ist dabei keineswegs Sache der Verwaltung, sondern Aufgabe des antragstellenden Eigentümers selbst.

Mit Blick auf die vorstehend dargestellten Notwendigkeiten dürfte daher zu bezweifeln sein, dass in der Praxis der jeweils antragstellende Wohnungseigentümer die für eine konkrete Beschlussassung im Zeitpunkt der Eigentümerversammlung notwendigen Informationen und Unterlagen rechtzeitig vorlegt.

 

Besteht der betreffende Eigentümer gleichwohl auf einer (ihm ggfls. zustehenden) positiven Beschlussfassung, so kann zur Streitvermeidung (da ansonsten nur eine Beschlussablehnung in Frage kommt) ein sog. Grundsatzbeschluss über die Gestattung der begehrten Maßnahme als solcher gefasst werden, dessen inhaltliche Ausgestaltung dann einer konkretisierenden 2. Beschlussfassung in einer weiteren Eigentümerversammlung vorbehalten bleibt, zu der der betreffende Eigentümer die ihm anheimgestellten Voraussetzungen erfüllen muss.

 

 

§ 23 WEG – Wohnungseigentümerversammlung

(3)

Auch ohne Versammlung ist ein Beschluss gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zu diesem Beschluss in Textform erklären.

Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt..

Zur Vermeidung der Abhaltung einer weiteren (kostenpflichtigen) Eigentümerversammlung kann gem. § 23 Abs. 3 WEG beschlossen werden, über die inhaltliche Ausgestaltung der Gestattung im Rahmen eines sog. Umlaufbeschlussverfahrens mit einfacher Mehrheit zu entscheiden.

 

Formulierungsvorschlag zu einem Grundsatzbeschluss zu Fall 8:

Die Eigentümerversammlung beschließt, es dem jeweiligen Eigentümer der im Dachgeschoss gelegenen Wohneinheit Nr. 13 vorbehaltlich einer noch folgenden konkretisierenden Beschlussfassung grundsätzlich zu gestatten, im Bereich seiner Dachgeschosswohnung ein Dachflächenfenster selbst und auf eigene Kosten einzubauen zu lassen.

Dies erfolgt unter der Auflage, dass der o.g. Eigentümer binnen einer Frist von 4 Wochen der Verwaltung die zu einer konkreten Beschlussentscheidung notwendigen Unterlagen betreffend u.a. die konkrete Lage, Maße, Material, Form und Farbe des einzubauenden Dachflächenfensters sowie ein entsprechendes Angebot eines Fachunternehmens zur Ausführung der Maßnahme nebst konkreten Angaben über den zeitlichen Ablauf der Verwaltung zur Verfügung stellt.

Die Verwaltung wird nach fristgerechtem Eingang der o.g. Unterlagen ein Umlaufbeschlussverfahren zur o.g. Maßnahme durchführen, in welchem mit einfacher Mehrheit über die konkrete Gestattung der baulichen Veränderung beschlossen wird.

f) Kosten und Nutzungen der dem Einzelnen gestatteten baulichen Veränderung

Nunmehr ist die Frage der Kostentragung und der Nutzung baulicher Veränderungen in § 21 Abs. 1 WEG gesetzlich geregelt, so dass es einer ausdrücklichen Beschlussfassung hierzu nicht mehr bedarf; vorsorglich und klarstellend kann dies aber geschehen.

 

 

§ 21 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen

(1)

Die Kosten einer baulichen Veränderung, die einem Wohnungseigentümer gestattet

oder die auf sein Verlangen nach § 20 Absatz 2 durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durchgeführt wurde, hat dieser Wohnungseigentümer zu tragen.

Nur ihm gebühren die Nutzungen.

Die Kostentragungspflicht bezieht sich dabei nicht nur auf die Kosten der Durchführung/Errichtung der baulichen Veränderung, sondern auch auf sämtliche denkbar anfallenden Folgekosten (Kosten des Betriebs, der Instandhaltung und Instandsetzung). Diese Pflichten gehen auf den jeweiligen Sonderrechtsnachfolger über, gleich, ob dieser Nutzungswillen hat oder nicht.

Daher bedarf es auch keiner Regelung über eine Kaution oder über einen etwaigen Rückbau, da es sich hierbei wieder um eine gestattungspflichtige bauliche Veränderung handelte. Beschlüsse über Rückbauverpflichtungen und Sicherheitsleistungen sind also nicht mehr vorgesehen (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Novelle 2020,

§ 11 Rn. 1054, 1139; SEHR/Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 35).

 

4. Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum zugunsten Mehrerer

Besonderheiten ergeben sich, wenn mehrere Eigentümer gemeinschaftlich eine bauliche Veränderung vornehmen wollen, da hier die Frage der anteiligen Kostentragung und der gemeinschaftlichen Nutzung besonders zu bedenken ist.

 

 

Fall 9:

Die Wohnanlage besitzt keine Abstellmöglichkeiten für Fahrräder vor dem Hauseingang und der Fahrradkeller ist ständig überbelegt.

Die Eigentümer A, B und C stellen daher den Antrag, auf eigene Kosten einen Fahrradständer mit drei Abstellmöglichkeiten rechts neben dem Hauseingang installieren zu dürfen. Die Kosten wollen Sie gerne alleine tragen, und zwar zu je 1/3-Anteil; ebenso wollen Sie festlegen, dass A die linke, B die mittlere und C die rechte Abstellmöglichkeit des Fahrradständers nutzen dürfen.

Bevor Verwalter V zur Abstimmung schreitet, schärft er den übrigen Wohnungseigentümern, die alle nichts gegen die Maßnahme einzuwenden haben, sofern sie denn nicht mitbezahlen müssen, ein, sich unbedingt bei der Abstimmung zu enthalten.

a) Beschluss zur Tragung der Kosten und Nutzungen

Wird mehreren Wohnungseigentümern die Vornahme einer baulichen Veränderung des Gemeinschaftseigentums gem. § 20 Abs. 1 WEG gestattet, so bestimmt § 21 Abs. 3 WEG, dass diejenigen Eigentümer, die eine bauliche Veränderung beschließen, alleine die Kosten der Maßnahme zu tragen haben, allerdings auch alleine die Nutzung beanspruchen dürfen, wobei hierfür als Maßstab die Größe der Miteigentumsanteile dient.

 

 

§ 21 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen

(3)

Die Kosten anderer als der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten baulichen Veränderungen haben die Wohnungseigentümer, die sie beschlossen haben, nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen. Ihnen gebühren die Nutzungen entsprechend § 16 Absatz 1.

Hieraus folgt, dass jeder, der mit „JA“ stimmt, die Kosten der Maßnahmen mitzutragen hat. Daher ist denjenigen Eigentümern, die nichts gegen die Maßnahme einzuwenden haben, anzuraten sich zu enthalten, weshalb mit den „Ja“-Stimmen der Antragsteller der Mehrheitsbeschluss zustande kommt und nur die Antragsteller die Kosten zu tragen haben. Mit Blick hierauf sind (um spätere Unsicherheit darüber, wer wie abgestimmt hat) die Stimmergebnisse (das Festhalten der Ja-Stimmen reicht aus) namentlich festzuhalten (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1005, 1060 u. 1110; SEHR/Abramenko, die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 107).

 

Da eine Kostenbeteiligung sowie eine Nutzung nach Miteigentumsanteilen regelmäßig als nicht sinnvoll angesehen werden dürfte, bestimmt die Regelung des § 21 Abs. 5 S. 1 WEG, dass mit einfachem Mehrheitsbeschluss eine Änderung herbeigeführt werden kann.

Dabei darf aufgrund § 21 Abs. 3 S. 2 WEG nicht vergessen werden, auch die Nutzung ausdrücklich durch Beschluss zu regeln.

 

 

§ 21 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen

(5) Satz 1

Die Wohnungseigentümer können eine abweichende Verteilung der Kosten und    Nutzungen beschließen.

b) Das Trittbrettfahrer-Problem

Soll mehreren Wohnungseigentümern die Vornahme einer baulichen Veränderung des Gemeinschaftseigentums gem. § 20 Abs. 1 WEG gestattet werden, so ist im Vorfeld nicht sicher, ob die Abstimmung tatsächlich auch so erfolgen wird, wie im Vorfeld zwischen den antragstellenden Eigentümern besprochen.

 

Fall 10:

Die Wohnanlage besitzt kein Vordach am Hauseingang. Die Eigentümer A, B und C stellen daher den Antrag, auf eigene Kosten ein solches installieren zu dürfen. Die Kosten wollen Sie gerne alleine tragen, und zwar zu je 1/3-Anteil.

Als es zu Abstimmung kommt, stimmen A und B mit „Ja“, C enthält sich aber der Stimme.

Da § 21 Abs. 3 WEG bestimmt, dass diejenigen Eigentümer, die mit „Ja“ stimmen, alleine die Kosten zu tragen haben, müssten nun A und B das Vordach alleine bezahlen.

Dabei können Sie es dem C nicht verbieten, das Vordach zu nutzen, da dieser den Hauseingang zwingend mitbenutzen darf.

Dabei ist es auch nicht gem. § 21 Abs. 5 WEG rechtmäßig möglich, dem C gleichwohl die Kostentragung mitaufzuerlegen, da § 21 Abs. 5 S. 2 WEG dies ausschließt.

 

 

§ 21 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen

(5) Satz 2

Durch einen solchen Beschluss dürfen einem Wohnungseigentümer, der nach den vorstehenden Absätzen Kosten nicht zu tragen hat, keine Kosten auferlegt werden.

Zur Lösung dieses Problems bieten sich zwei Vorgehensweisen an:

 

aa) Ausnutzung des Subtraktionsprinzips bei der Abstimmung

Ist, wie im Fall der vorhersehbaren Enthaltung der Masse der Eigentümer im Falle der Beschlussfassung über die Genehmigung einer baulichen Veränderung zu Gunsten mehrerer anderer Eigentümer, das Abstimmungsverhalten als eindeutig anzusehen, kann der Versammlungsleiter das Abstimmungsergebnis ohne Weiteres im Wege des sog. Subtraktionsverfahrens ermitteln, indem er zuerst die Nein-Stimmen und Enthaltungen abfragt und sodann feststellt, dass die übrigen, sich bisher nicht äußernden Eigentümer Ja-Stimmen abgeben (vgl.: BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 37/02, NJW 2002, 3629).

Wird dieses Procedere angewandt, muss der „Trittbrettfahrer“ (im Fall 10 Eigentümer C) bei der Abfrage der Nein-Stimmen und Enthaltungen „Farbe bekennen“, da seine Stimme ansonsten als Ja-Stimme gewertet wird.

Stimmt der „Trittbrettfahrer“ mit Nein oder enthält er sich, müssen die übrigen Antragsteller reagieren und sich ebenfalls zumindest enthalten, um einer alleinigen Kostentragung zu entgehen; der angestrebte Beschluss scheitert dann allerdings (vgl.: Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1005, 1060; Dötsch, ZWE 2021, 341).

 

bb) Beschlussfassung unter Vorbehalt

Da der „Trittbrettfahrer“ aber den zur Kostentragung gefassten Beschluss anfechten könnte, empfiehlt sich hier vertretener Auffassung nach (auch bei größeren Versammlungen) eher eine Beschlussfassung unter dem Vorbehalt, dass das Zustandekommen des Gestattungsbeschlusses selbst davon abhängig gemacht wird, dass der Beschluss über die anteilige Kosten- und Nutzenverteilung bestandskräftig wird.

 

 

 

Vorschlag zur Abstimmung im Fall 10:

Die Eigentümerversammlung beschließt, dass das Zustandekommen des nachfolgend zu Ziff. 1. zur Abstimmung gestellten Beschlusses über die Gestattung der Errichtung eines Vordachs oberhalb des Hauseingangs zugunsten der Eigentümer A, B und C davon abhängig ist, dass der nachfolgend zu Ziff. 2. zur Abstimmung gestellte Beschluss über die Verteilung der Kosten und Nutzungen der vorbeschlossenen Maßnahme von den Eigentümern A, B und C zu je 1/3-Anteile zustande kommt und bestandskräftig wird.

5. Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum zugunsten der Mehrheit

Eine grundlegend andere Betrachtungsweise ist bei baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums geboten, die von der überwiegenden Mehrheit der Wohnungseigentümer (ggfls. gegen den Willen des Einzelnen) gewünscht werden.

 

aa) Bauliche Veränderungen mit Amortisationseffekt

Dabei steht typischerweise das Interesse der Mehrheit der Wohnungseigentümer im Vordergrund, eine energetische oder sonstige technische Ertüchtigung des Objekts durchzuführen, die entsprechende Einspareffekte hervorruft.

Hierbei wird in aller Regel der Wunsch im Vordergrund stehen, dass sich sämtliche Wohnungseigentümer an den entstehenden Kosten zu beteiligen haben, da sämtliche Eigentümer den Nutzen aus dem intendierten Einspareffekt ziehen.

 

Fall 11:

Die umweltbewusste Mehrzahl der Eigentümer möchte die Fassade des Objekts mit einer Wärmedämmung versehen, um Heizkosten einzusparen.

Dabei sollen die entstehenden Kosten von allen Eigentümern getragen werden.

Eigentümer E meint, man könne ihn nicht durch Mehrheitsbeschluss hierzu zwingen.

Gem. § 20 Abs. 1 WEG ist ein Mehrheitsbeschluss über eine bauliche Veränderung ohne weiteres möglich, da durch die Anbringung einer Wärmedämmung sich keine durchgreifende Umgestaltung der Wohnanlage ergeben und auch keine besondere persönliche Benachteiligung des einzelnen Eigentümers i.S.d. § 20 Abs. 4 WEG in Rede stehen dürfte.

Allerdings bestimmt § 21 Abs. 3 WEG, dass grundsätzlich nur diejenigen Wohnungseigentümer die Kosten einer solchen Maßnahme zu tragen haben, die die Maßnahme beschließen. Gem. § 21 Abs. 5 S. 2 WEG ist auch nicht möglich, die nicht positiv abstimmenden Eigentümer zur gemeinsamen Kostentragung zu verpflichten.

 

Hierzu regelt indes § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG eine bedeutsame Ausnahme.

 

 

§ 21 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen

(2)

Vorbehaltlich des Absatzes 1 haben alle Wohnungseigentümer die Kosten einer baulichen Veränderung nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen,

 

2. deren Kosten sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums amortisieren.

Gem. § 20 Abs. 1, 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG können mit einfacher Mehrheit bei Kostentragung sämtlicher Wohnungseigentümer nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums beschlossen werden, deren Kosten sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums amortisieren.

 

Zur Frage, welcher Zeitraum für die Amortisation zugrunde zu legen ist, soll nach der hierzu vertretenen wohl herrschenden Ansicht auf den zum früheren Recht („modernisierende Instandsetzung“) von der Rechtsprechung vertretenen Zeitraum von 10 Jahren (wenn auch nicht zwingend, je nach Einzelfall sollen auch 12 bis in Ausnahmefällen bis ca. 15 Jahre möglich sein) abzustellen sein.

 

Die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung setzt indes voraus, dass den Wohnungseigentümern rechtzeitig vor der Eigentümerversammlung die Amortisationsberechnung eines Fachmanns vorgelegt wird, da ansonsten der Beschluss ohne taugliche Entscheidungsgrundlage erfolgt (vgl.: Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 75).

 

bb) Bauliche Veränderungen ohne Amortisationseffekt

Es kann aber auch im Interesse der Mehrheit der Wohnungseigentümer liegen, eine sich nicht amortisierende bauliche Veränderung am gemeinschaftlichen Eigentum vorzunehmen, so um etwa das Objekt an einen zeitgemäßen Standard anzupassen, den Wohnkomfort zu erhöhen oder schlicht die Optik und Anmutung des Objekts zu verbessen.

Auch hier wird in aller Regel der Wunsch im Vordergrund stehen, dass sich sämtliche Wohnungseigentümer an den entstehenden Kosten zu beteiligen haben.

 

Fall 12:

Die in einer dem heutigen Zeitgeschmack nicht entsprechenden Farbe gestrichene Fassade des Objekts soll nach dem Willen der Mehrzahl der Eigentümer, obgleich ein Neuanstrich objektiv nicht erforderlich ist, in Anwendung eines modernen Farbkonzepts neu angestrichen werden, um die Attraktivität des Objekts zu erhöhen.

Eigentümer E meint, man könne ihn nicht durch Mehrheitsbeschluss hierzu zwingen.

Insbesondere in einem solchen Fall ist gem. § 20 Abs. 1 WEG zwar ein Mehrheitsbeschluss über die damit verbundene bauliche Veränderung durch eine Änderung des optischen Erscheinungsbilds des Objekts ohne weiteres möglich, da sich durch einen veränderten Farbanstrich weder eine durchgreifende Umgestaltung der Wohnanlage ergibt und auch kein Eigentümer unzumutbar persönlich benachteiligt wird (vgl. § 20 Abs. 4 WEG).

Da eine Kostenamortisation i.S.d. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG durch einen bloßen Neuanstrich der Fassade aber nicht in Rede stehen dürfte, hätten gem. § 21 Abs. 3 nur diejenigen Wohnungseigentümer die Kosten einer solchen Maßnahme zu tragen, welche die Maßnahme beschließen. Gem. § 21 Abs. 5 S. 2 WEG ist auch nicht möglich, die nicht positiv abstimmenden Eigentümer zur gemeinsamen Kostentragung zu verpflichten.

 

Hierzu regelt indes § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG eine weitere Ausnahme.

 

 

§ 21 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderungen

(2)

Vorbehaltlich des Absatzes 1 haben alle Wohnungseigentümer die Kosten einer baulichen Veränderung nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen,

 

1. die mit mehr als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Hälfte aller

    Miteigentumsanteile beschlossen wurde, es sei denn, die bauliche Veränderung ist

    mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden,

 

(1) Unverhältnismäßigkeit der Kosten

Die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG hängt somit davon ab, ob die Kosten der Maßnahme nicht als unverhältnismäßig anzusehen sind.

 

Bedauerlicherweise ist der vollkommen unbestimmte Rechtsbegriff der „Unverhältnismäßigkeit“ vom Gesetzgeber nicht konkretisiert worden, so dass derzeit vollkommen unklar ist, wann ein solcher Fall vorliegt.

 

Klar ist lediglich, dass es nicht auf die Frage einer finanziellen Überforderung des einzelnen Eigentümers oder auf dessen besondere Bedürfnisse und Lebensumstände ankommt.

 

Es soll vielmehr ein anlagenbezogener, objektiv-konkreter Maßstab angewandt werden, dem die besondere Struktur der gesamten Wohnungseigentümergemeinschaft zugrunde gelegt werden soll, also die Alters- und Sozialstruktur, Art und Alter der Anlage, deren baulicher Zustand und die finanzielle Leitungsfähigkeit der Gesamtheit aller Eigentümer.

Hieraus soll folgen, dass die Höhe der Kosten nicht unbedingt entscheidend ist, es aber regelmäßig sein dürfte, denn der Umstand, dass die Gesamtheit der Eigentümer sich eine hohe Aufwendungen grundsätzlich leisten könnte, soll eine Unverhältnismäßigkeit nicht ausschließen.

Verhältnismäßig sollen indes Aufwendungen sein, die einen Baustandard bezwecken, der sich Vergleich mit anderen Wohnanlagen in der Umgebung als üblich darstellt (vgl.: Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 26 f.; Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 46 ff.; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1071 ff.; SEHR/ Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 87).

 

(2) Die erforderliche doppelt-qualifizierte Mehrheit

Ein weiteres Rechtmäßigkeitserfordernis stellt das Erreichen einer doppelt-qualifizierten Abstimmungsmehrheit dar.

 

In der Rechtsliteratur (Rechtsprechung liegt zu dieser Frage bis dato nicht vor) ist schon umstritten, ob die erforderliche Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen

(also ohne Enthaltungen, denn diese stellen keine Stimmabgabe dar, es sei denn, die Gemeinschaftsordnung regelt, dass diese als Nein-Stimmen zu werten seien) zwingend nach dem gesetzlichen Kopfprinzip (so: Palandt/Wicke, BGB, 80. Aufl. 2021,

§ 21 WEG Rn. 3; Blankenstein, WEG-Reform 2020, S. 472) oder nach dem regelmäßig in der Gemeinschaftsordnung abweichend vereinbarten Stimmprinzip (Miteigentumsanteile, Anzahl der Einheiten) zu ermitteln sein soll (so hier vertretener Meinung nach zutreffend: Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 23 f.; Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 36; Lehmann-Richter/ Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1068; SEHR/Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 85).

 

Umstritten ist weiter, ob sich aus der dem Erfordernis der 2/3-Mehrheit vorangestellten Wendung „mehr als“ ergibt, dass mehr als 50% sämtlicher Miteigentumsanteile zustimmen müssen (so: Palandt/Wicke, BGB, 80. Aufl. 2021, § 21 WEG Rn. 3; Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 36; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1069) oder ob mindestens 50% ausreichen (so hier vertretener Meinung nach zutreffend: Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 23 f.; SEHR/Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 85).

 

 

cc) Notwendigkeit eines Vorschalt-Geschäftsordnungsbeschlusses

Auf die Notwendigkeit eines der eigentlichen Beschlussfassung vorgelagerten Geschäftsordnungsbeschlusses, vergleiche die vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 3. Buchst. e) Lit. ee), ist mit Blick auf die obigen Ausführungen besonders hinzuweisen.

 

Dabei sind unter Berücksichtigung der sich gleich mehrfach stellenden Probleme hier vertretener Auffassung nach auch mehrere solcher Vorschalt-Geschäftsordnungsbeschlüsse notwendig.

 

Zunächst ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass vom Verwalter (oder einem anderen Versammlungsleiter) derzeit kaum rechtssicher geklärt werden kann, wie die jeweils erzielte doppelt-qualifizierte Mehrheit zu berechnen ist.

Weiter kann unsicher sein, ob zu einem gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG intendierten Beschluss die notwendige Amortisation gegeben ist oder die nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG zur Beschlussfassung anstehende Maßnahmen nicht doch mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist oder gem. § 20 Abs. 4 WEG u.U. doch eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage bzw. eine unbillige Benachteiligung einzelner Eigentümer vorliegt.

 

Formulierungsvorschlag für Geschäftsordnungsbeschlüsse:

Mit Blick auf die durch die Verwaltung mitgeteilten Bedenkenhinweise zum beabsichtigen Beschluss zu TOP […], wonach vom Verwalter nicht sicher festgestellt werden kann,

- ob durch die zu gestattende bauliche Veränderung nicht doch eine grundlegende Umgestaltung des Objekts bewirkt bzw.

- ob ein nicht zustimmender Eigentümer nicht doch gegenüber anderen unbillig benachteiligt sein kann,

- ob eine hinreichende Amortisation der Maßnahme gegeben ist oder die Kosten der Maßnahme als unverhältnismäßig anzusehen sind bzw.

- unsicher ist, wie die erforderliche qualifizierte Beschlussmehrheit des § 21 abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG korrekt zu berechnen ist

- und daher eine Beschlussfassung mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann, was zu einem entsprechenden Prozess- und Kostenrisiko führen kann, werden der Beschlussfassung zu TOP […] folgende Geschäftsordnungsbeschlüsse vorangestellt:

1.

Die Eigentümerversammlung beschließt, die Verwaltung anzuweisen, die nachfolgend zu TOP […] zur Beschlussfassung anstehenden Beschlüsse, sofern diese mehrheitlich gefasst werden, als zustande gekommen zu verkünden.

2.

Die Eigentümerversammlung beschließt insbesondere, die nachfolgend zu TOP […] zur Beschlussfassung vorgesehenen Beschlüsse dann als mehrheitlich zustande gekommen i.S.d. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG zu verkünden, wenn diese mit einer Mehrheit von mehr als 2/3 der abgegebenen Stimmen (berechnet nach Miteigentumsanteilen gemäß der Regelung unter Ziff. [,,,] der Gemeinschaftsordnung), die zugleich mindestens die Hälfte aller Miteigentumsanteile repräsentieren, gefasst werden.

Ferner ist auf das oben beschriebene „Trittbrettfahrer“-Problem hinzuweisen, da denkbar ist, dass einzelne Wohnungseigentümer entgegen ihrer bisherigen Ankündigung nicht positiv abstimmen, wodurch eine nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG erforderliche Mehrheit verfehlt werden kann, dies mit der Folge der Kostentragung nur durch die positiv abstimmenden Eigentümer gem. § 20 Abs. 3 WEG.

Auf die vorgeschlagene bedingte Beschlussfassung gem. obiger Ziff. 4. Buchst. b) ist sinngemäß zu verweisen.

 

Auch ist für den Fall des positiven Zustandekommens des Beschlusses zu berücksichtigen, dass der Beschluss auch angefochten werden kann, woraus sich für den Verwalter die Frage ergibt, ob er den gefassten Beschluss ungeachtet eines laufenden Beschlussanfechtungsverfahrens gleichwohl umsetzen soll.

 

Formulierungsvorschlag für einen Geschäftsordnungsbeschluss zur Umsetzung:

1.

Die Eigentümerversammlung beschließt, die Verwaltung anzuweisen, die nachfolgend zu TOP […] zur Beschlussfassung anstehenden Beschlüsse, sofern als zustande gekommen verkündet werden, ungeachtet einer etwaigen Beschlussklage zu vollziehen.

2. [alternativ]

Die Eigentümerversammlung, die Verwaltung anzuweisen, die nachfolgend zu TOP […] zur Beschlussfassung anstehenden Beschlüsse, sofern als zustande gekommen verkündet werden, erst dann umzusetzen, wenn die von ihr zu stellende Anfrage beim zuständigen Amtsgericht […], die frühestens 5 Wochen nach der Beschlussfassung zu stellen ist, ergibt, das dort keine gegen die obigen Beschlüsse oder einen von diesen gerichtete Beschlussklage anhängig ist.

dd) Finanzierung baulicher Veränderungen i.S.d. § 21 Abs. 2 WEG

Gem. § 19 Abs. 2 WEG gehört es zur ordnungsmäßigen Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums, für dessen Erhaltung eine angemessene Erhaltungsrücklage anzusammeln.

Dabei handelt es sich um ein zweckgebundenes Sondervermögen der Wohnungseigentümergemeinschaft, welches nicht zur Finanzierung anderer Maßnahmen als solcher der Erhaltung des Gemeinschaftseigentums zweckentfremdet werden darf.

Die Finanzierung baulicher Veränderungen, auch solcher, die zu Kosten sämtlicher Wohnungseigentümer gem. § 21 Abs. 2 WEG beschlossen werden, unter Inanspruchnahme der Mittel der Erhaltungsrücklage ist somit rechtswidrig (vgl.: Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 19 Rn. 141 ff., 166).

 

Die Finanzierung baulicher Veränderungen kommt daher grundsätzlich nur durch Erhebung einer Sonderumlage zu Lasten des kostentragungspflichtigen Wohnungseigentümer oder im Wege einer Darlehensaufnahme der Wohnungseigentümergemeinschaft in Frage.

 

Denkbar ist zwar, eine ausreichend hoch bemessene, absehbar nicht einzusetzende Erhaltungsrücklage in Ansehung des nicht benötigen Kapitals durch Beschluss der Eigentümerversammlung in eine „Modernisierungsrücklage“ umzuwidmen und zur Finanzierung eines baulichen Veränderung i.S.d. § 20 Abs. 2 WEG einzusetzen, in der Praxis dürfte dies jedoch (mangels ausreichend vorhandener Mittel) die Ausnahme darstellen.

Alternativ besteht auch die Befugnis, für solche Zwecke vorgreiflich eine gesonderte Rücklage anzusparen (vgl.: Dötsch, ZWE 2018, 61).

 

6. Fazit

Ungeachtet der begrüßenswerten Lockerung der Vorschriften zur Gestattung bzw. Durchführung baulicher Veränderungen am gemeinschaftlichen Eigentum sollte, da naturgemäß valide höchstrichterliche Rechtsprechung zu den vorstehend angesprochenen vielfältigen Problemen noch nicht vorliegt, von den durch die §§ 20, 21 WEG geschaffenen Möglichkeiten mit Vorsicht Gebrauch gemacht werden.