Konkurrenz von Individual- und Gemeinschaftsrechten

Da die Wohnungseigentümergemeinschaft gem. § 10 Abs. 6 WEG einen sog. teilrechtsfähigen Verband bildet und somit eine juristische Person mit eigenen, nur der Gemeinschaft zustehenden Rechten und Pflichten darstellt, stellt sich regelmäßig die Frage nach dem Verhältnis zu den den einzelnen Eigentümern selbst individuell zustehenden Rechte und Pflichten.

Denn jeder Wohnungseigentümer ist schließlich Miteigentümer des Gemeinschaftseigentums.

Dieses Spannungsverhältnis sucht die Regelung des § 10 Abs. 6 S. 3 WEG aufzulösen, indem hier geregelt ist, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft ungeachtet der individuellen Rechte des einzelnen Eigentümers befugt sein kann, diese quasi „über dessen Kopf hinweg“ auszuüben. Die dabei auftretenden Rechtsfragen beschäftigen regelmäßig die Gerichte.

Zu einer wichtigen Frage in Bezug auf die Beseitigung rechtswidriger baulicher Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums hat der BGH jüngst Stellung genommen (Urt. v. 26.10.2018, Az.: V ZR 328/17).

 

Der Fall:

Wohnungseigentümer W nimmt ohne genehmigenden Beschluss der Eigentümerversammlung und gegen den Willen der übrigen Eigentümer eine störende bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum durch einen Eingriff in die Bausubstanz vor.

Daraufhin verklagte Miteigentümer E den W auf Beseitigung der baulichen Veränderung sowie auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. W meint, dass E überhaupt nicht prozessführungsbefugt sei, schließlich ginge es um gemeinschaftliches Eigentum. E könne auch keinen entsprechenden Beschluss der Gemeinschaft vorweisen.

 

Das Problem:

Grundsätzlich ist E prozessführungsbefugt. Der sich aus §§ 15 Abs. 3 WEG, 1004 BGB ergebende Anspruch auf Beseitigung von Störungen, insbesondere der Anspruch auf Beseitigung einer ungenehmigten störenden baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums nebst Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands folgt aus dem Eigentum und steht somit jedem betroffenen Wohnungseigentümer als individuell auszuübendes Recht zu (vgl.: BGH, Urt. v. 24.7.2015 – V ZR 167/14). Einen Beschluss der Eigentümerversammlung, der ihm die Prozessführung genehmigt, braucht E also hiernach nicht.

Der Anspruch auf Wiederherstellung des Gemeinschaftseigentums kann jedoch auch aus § 823 BGB hergeleitet werden, da der Anspruch auf Schadensersatz auch auf Naturalrestitution, also Wiederherstellung, gerichtet ist.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH stellt der Anspruch auf Leistung von Schadensersatz wegen einer schuldhaften Beschädigung des Gemeinschaftseigentums aufgrund der Instandsetzungskompetenz der Gemeinschaft aber einen sog. gemeinschaftsbezogenen Anspruch dar, auf den § 1011 BGB keine Anwendung findet (vgl.: BGH, Urt. v. 7.2.2014 - V ZR 25/13). Im Interesse einer geordneten Verwaltung des Gemeinschaftseigentums könne dieser nur einheitlich durch den rechtsfähigen Verband der Wohnungseigentümer geltend gemacht werden. Es bestehe insoweit eine sog. geborene Ausübungskompetenz der Wohnungseigentümergemeinschaft  gem. § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 1 WEG.

Hiernach wäre der E nicht prozessführungsbefugt.

 

Die Entscheidung des BGH:

Der BGH ändert seine bisherige Rechtsprechung. Für Schadensersatzansprüche, die auf die Verletzung des Gemeinschaftseigentums gestützt werden, besteht nun ausnahmsweise keine geborene, sondern lediglich eine gekorene Ausübungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft i.S.d. § 10 Abs. 6 S. 3 Alt. 2 WEG, wenn und soweit sie in Anspruchskonkurrenz zu Beseitigungsansprüchen der Wohnungseigentümer aus dem Miteigentum an dem Grundstück gemäß § 1004 Abs. 1 BGB stehen. (BGH, Urt. v. 26.10.2018 – V ZR 28/17)

Praxis-Tipp:

Steht die Geltendmachung der hier in Rede stehenden Ansprüche im Raum, sollte der WEG-Verwalter darauf hin-weisen, dass ein Beschluss der Eigentümerversammlung herbeigeführt wird, ob die Gemeinschaft die Ausübung der Ansprüche an sich zieht oder nicht.

 

Wohnungseigentumsrecht